Tió de Nadal: Unterschied zwischen den Versionen

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[[File:Tio Nadal Catalana 2023.jpg|thumb|Ein Tió de Nadal aus Katalonien]]
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Der '''Tió de Nadal''' (auch einfach „tió“ oder „tronc(a) de Nadal“, aragonesisch „tronca“, „toza“ oder „tízón de Nadal / Navidat“ und okzitanisch „cachafuòc“ oder „soc de Nadal“) ist eines der Elemente der katalanischen und aragonesischen Mythologie und eine tief in Katalonien, Aragon, Andorra und Okzitanien verwurzelte Weihnachtstradition. Auf Mallorca ist diese früher als „Nadaler“ bekannte Tradition nahezu verloren gegangen.
[[File:Tió.JPG|thumb|Ein Tió de Nadal wird mit Obst und Gemüse gefüttert und getränkt]]
[[File:Tions a Santa Llúcia.jpg|thumb|zahlreiche Tions]]
Der '''Tió de Nadal''' [{{IPA|tiˈo ðə nəˈðal}}]<ref name=":0">Siehe den entsprechenden [https://ca.wikipedia.org/wiki/Ti%C3%B3_de_Nadal Artikel] in der katalanischsprachigen Wikipedia.</ref> (auch einfach „tió“, Plural „tions“ oder „tronc(a) de Nadal“, aragonesisch „tronca“, „toza“ oder spanisch „tízón de Nadal / Navidat“ und okzitanisch „cachafuòc“ oder „soc de Nadal“) ist ein großes Stück [[Holz]], das als Weihnachtsfigur dekoriert eines der wesentlichen Elemente der [[Katalonien|katalanischen]] und aragonesischen Mythologie und eine tief im [[Spanien|spanischen]] Katalonien und Aragon sowie in [[Andorra]] und Okzitanien ([[Frankreich]]) verwurzelte Weihnachtstradition bildet. Auf Mallorca ist diese als „Nadaler“ bekannte bis ins 19. Jahrhundert reichende Tradition heute nahezu verloren gegangen. ''El Tió'' (von lateinisch gleichbedeutend ''titio'') ist nach dem ''Diccionari Català-Valencià-Balear'' des Pfarrers und Katalanisten Antoni Alcover (1862–1932)<ref name=":1">Antoni Alcover, Frances de B. Moll: Diccionari Català-Valencià-Balear. Band X. Son–Zu. Palma de Mallorca 1993. Seite 295. Dort die Einträge „tió“ und „tio“.</ref> zunächst ein trockenes Stück eines Baumstammes oder eines dicken Astes, das für die Verbrennung im Kamin bestimmt ist. Es darf nicht mit dem katalanischen Wort ''El Tio'' (ohne Akzent auf dem „o“, deutsch: „der Onkel“)<ref name=":1" /> verwechselt werden.


Trotz der vielen lokalen Variationen besteht die Tradition darin, einige Tage vor Weihnachten einen Baumstumpf oder dicken Ast zu besorgen und diesen als ''Tió de Nadal''. Normalerweise wird am 8. Dezember, dem Tag der Unbefleckten Empfängnis Marias, dieser Baumstumpf mit einer Decke bedeckt und in eine Ecke des Hauses gelegt, damit ''El Tió'' sich nicht verkühlt. Er wird täglich mit Obst, Äpfeln, Mandarinen und Äpfeln gefüttert, damit er zur Weihnachtsbescherung Süßigkeiten und vor allem Geschenke auswerfen (im etwas derben zum Brauch gehörigen Kinderlied „scheißen“) kann. In manchen Häusern besteht El Tió einfach aus einem Stück Holz, einem oder mehreren Stühlen, einem Stück Kork oder einer Holzschachtel jeglicher Größe, je nach dem für die herauszugebenden Geschenke. In Katalonien trägt er immer die rote katalanische Bauenmütze (la barretina).
== Die aktuelle Tradition ==
 
Trotz der vielen lokalen Variationen besteht die Tradition darin, einige Tage vor Weihnachten einen Baumstumpf oder dicken Ast zu besorgen und diesen mit einem Gesicht und einer roten katalanischen Bauernmütze („la barretina“) als ''Tió de Nadal'' herzurichten. Normalerweise wird am 8. Dezember, dem Tag der Unbefleckten Empfängnis Marias, dieser Baumstumpf mit einer Decke bedeckt und in eine Ecke des Hauses gelegt, damit ''El Tió'' sich nicht verkühlt. Er wird täglich mit Obst, Äpfeln, Mandarinen und Äpfeln gefüttert, damit er zur Weihnachtsbescherung Süßigkeiten und vor allem Geschenke auswerfen (im etwas derben zum Brauch gehörigen Kinderlied „scheißen“ oder familiär „etwas herausrücken“) kann. In manchen Häusern besteht ''El Tió'' einfach aus einem Stück Holz, einem oder mehreren Stühlen, einem Stück Kork, einer Holzschachtel oder einem geflochtenen Korb jeglicher Größe, je nach der für die herauszugebenden Geschenke angemessenen Größe.
''El Tió'' reprpräsentiert eine Jahrhunderte alte Geschichte, die ursprünglich mit der Natur, der Fruchtbarkeit und der Wintersonnenwende verbunden war. El Tió ist ein Ritual ländlichen Ursprungs und kennzeichnet Überfluss und Wohlergehen. Der alte, trockene Stamm spendet Süßigkeiten und Bonbons und eben auch die Weihnachtsgeschenke aus seinem Inneren heraus. Es gilt als Zeichen der Wiedererwachens der Natur nach der langen Wintersaison. Mit zunehmender Modernität und dem Verschwinden des Feuers auf dem Boden der Häuser verschwanden ursprüngliche Bräuche wie Kot zu verbrennen oder die zugehörigen Bräuche rund um die zurückgelassene Asche. Diese dienten ursprünglich als Schutzhelfer gegen Blitze, Motten und andere Gefahren in den Häusern und auf den Feldern. Dafür lebte die Tradition des ''Tió de Nadal'' weiter.
 
Für diese Tradition gibt es auch den Namen „Cagatió“, der sich direkt auf das Fest der Bescherung bezieht, bei dem ''El Tió'', der Weihnachtsonkel, Geschenke herausrücken oder eben derber „scheißen“ soll (katalanisch: „cagar“, deutsch „scheißen“). Hier wird das für deutschsprachige Leser etwas derb wirkende oben bereits erwähnte Kinder- und Bescherungslied aufgegriffen, das hier ausschnittsweise auf katalanisch dargeboten wird.


Für diese Tradition gibt es auch den Namen '''Cagatió''' [{{IPA|ˌkaɣətiˈo}}],<ref name=":9">Siehe entsprechende Einträge im [https://ca.wiktionary.org/wiki/cagati%C3%B3 katalanisch-] und [https://de.wiktionary.org/wiki/cagati%C3%B3 deutschsprachigen Wiktionary].</ref> der sich direkt auf das Fest der Bescherung bezieht, bei dem ''El Tió'', Geschenke herausrücken oder eben derber „scheißen“ soll (katalanisch: „cagar“, deutsch: „scheißen“, familiär auch etwas „herausspucken“, etwas „rausrücken“). Hier wird das für deutschsprachige Leser etwas derb wirkende oben bereits erwähnte Kinder- und Bescherungslied ausschnittsweise in katalanischer Sprache aufgegriffen. Es existieren zahlreiche Strophen und Varianten.


:Caga Tió!
:Caga Tió!
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:No caguis arengades.
:No caguis arengades.
:Que són massa salades.
:Que són massa salades.
:Caga torrons que són mes bons.
:Caga torrons que són més bons.
:Si no cagues tió.
:Si no cagues tió.
:Et donaré un cop de bastó.
:Et donaré un cop de bastó.


:Scheiß Tio!
 
:Spucke heraus Tio!
:Mandeln, Nüsse und Torrons (Weihnachtsgebäck).
:Mandeln, Nüsse und Torrons (Weihnachtsgebäck).
:Scheiß keine Heringe.
:Und spucke keine Heringe.
:Denn die sind zu salzig.
:Denn die sind zu salzig.
:Scheiß Torrons, die sind viel besser.
:Spucke Torrons, die sind viel besser.
:Wenn du nicht scheißt Tió.
:Wenn du nicht spuckst Tió.
:Dann geben wir dir einen Stockschlag.
:Dann geben wir dir einen Stockschlag.




Die Kinder singen zur Bescherung dieses Lied, tanzen um ''Tió'', drohen ihm dabei mit Stöcken oder versetzen leichte Stockschläge auf die die Geschenke verbergende und Tió ummantelnde Decke.
Die Kinder singen zur Bescherung dieses vielstrophige Lied, tanzen um ''Tió'', drohen ihm dabei im Rhythmus der Musik mit kleinen Stöcken oder versetzen leichte Stockschläge auf die die Geschenke verbergende und Tió ummantelnde Decke. Nach Absingen des Liedes zieht der Familienvater die Decke weg und die kleinen und großen Kinder nehmen ihre Geschenke in Empfang.
 
== Die Geschichte des Tió de Nadal ==
[[File:Nens fent cagar el Tió.png|thumb|Kinder bringen Tió de Nadal zum Herausspucken von Geschenken (um 1880, Zeichnung aus dem Magazin „La Llumanera de Nova York“)]]
[[File:Tiotia.jpg|thumb|Weibliche und männliche Tions (Plural zu Tió) - nach der originalen Fotobeschreibung zu adoptieren oder zu befreien (in jedem Fall zu kaufen)]]
Nicht aus dem okzitanisch-katalanisch-aragonesischem Kulturgebiet stammende Bürger anderer Nationalitäten tuen sich mit dem Verständnis des Weihnachtsbrauchtums um ''El Tió de Nadal'' schwer. Auch kritische Katalanen sehen Brüche und Unebenheiten in diesem Brauchtum. Was sollen beispielsweise kleine Kinder empfinden, die in der Vorweihnachtszeit liebevoll ''El Tio'' warm halten, ihn abends mit Futter versorgen und zu ihm regelrecht eine soziale Beziehung aufbauen, um ihn schließlich am Heiligen Abend mit Stöcken dazu zu bewegen, Geschenke auszuspucken? Die Personaltrainerin Sophia Blasco i Castell macht darauf aufmerksam, dass zum Verständnis der genannten Unebenheiten und einer eventuell passenderen aktuellen Ausgestaltung der Ursprung und die geschichtliche Entwicklung dieser Tradition betrachtet werden muss.<ref name=":10">Siehe hierzu: Sophia Blasco i Castell: El Tió de Nadal i la violència. In: jornal.cat (19. Dezember 2010).</ref>
 
''El Tió'' repräsentiert eine ländliche, alte, vorchristliche Tradition, die ursprünglich eng mit der Natur, der Fruchtbarkeit und den Festen zur Wintersonnenwende verbunden war. Um die Wintersonnenwende herum wurde an der Feuerstelle uralter Bauernhäuser ein besonders großes Stück Holz entzündet. Dieses Holz spendete in der langen Winternacht die benötigte Wärme und das benötigte Licht. Das im ursprünglichen Brauchtum nachgewiesene „Schlagen“, konkret das „Schlagen von Wärme“ aus dem großen brennenden Holzscheit, diente dem Wiedererwecken der in Kälte erstarrten Natur. Es diente als Vorbote der wärmeren Jahreszeiten.<ref name=":11">Abschnitt nach: 3CAT: D’on ve la tradició de fer cagar el tió? (23. Dezember 2023).</ref>
 
Die emeritierte Anthropologin Josefina Roma i Riu (* 1944) der Universität Barcelona sieht das in Frage stehende Brauchtum insgesamt in einen Ahnenkult dieser bäuerlichen Bevölkerung eingebettet. Die Erwachsenen kommunizieren über das Medium des im Schornstein abziehenden Rauches mit ihren Vorfahren. Gleichzeitig werden am Feuer Leckereien für die Kinder zubereitet. Generell werden in dieser Zeremonie gute Wünsche sowie Schutz (gegen Blitze, Ungeziefer und Krankheiten) und Fruchtbarkeit der Familie beschworen. Die von dem Feuer zurückbleibende Asche wird anschließend auf den Feldern verstreut. Im gesamten ursprünglichen Brauchtum manifestiert sich eine tiefe Verbundenheit aller Beteiligten mit ihrer Familie, den Vor- und Nachfahren, und mit der Natur.<ref name=":11" />
 
Dieser ursprüngliche Ahnenkult wurde im aufkommenden Christentum in ein Kinderfest umgeformt. Die älteste im Haus lebende Person leitete die Zeremonie und segnete zunächst das große brennende Holzscheit mit Wein. Dieses brennende Scheit war ursprünglich in keiner Weise bemalt oder dekoriert. Vor der Bescherung mit dem Schlagen des brennenden Holzscheites gingen die Kinder mit einem Erwachsenen in einen anderen Raum, um dort ein Vaterunser zu beten. Die Bescherungstradition blieb eng an das bäuerliche, brennende Holzscheit und das Hausfeuer gebunden.<ref name=":11" />
 
Mit der aufkommenden Säkularisierung und der Modernisierung der Wohnstätten veränderte sich das Brauchtum deutlich. Zunächst tränkten Kinder die Stöcke, mit denen sie ''El Tió'', das zuvor liebevoll behandelte Holzscheit, jetzt zur Herausgabe von Süßigkeiten und Geschenken zwangen. Genau an dieser Stelle sieht die oben bereits genannte Personaltrainerin Sophia Blasco Anpassungsbedarf der Tradition, in der Momente von Gewalt zurückgenommen werden müssen. Das Aufkommen moderner Wohnstätten entfernte die Tradition weiter von ihrem klassisch angestammten Ort, dem bäuerlichen Hausfeuer. In diesem Zuge wurde ''El Tió'' mit einem Gesicht und einer katalanischen Bauernmütze versehen oder schlichtweg vermenschlicht und schließlich auch als käufliche Ware teilweise verkitscht. Neuerdings wird das ursprüngliche Familienfest ''El Tió'' auch im Kontext von öffentlichen Großveranstaltungen abgehalten.<ref name=":11" />
 
Es gibt zunehmend mehr Menschen wie Sophia Blasco, die für eine Weiterentwicklung dieser uralten, wertvollen Traditionen in Richtung auf das Einssein mit der Natur und das Einssein mit den Mitmenschen eintreten, also für die ursprünglichen Motivationen des vor- und auch des frühchristlichen Brauches. Fairerweise muss auch gesagt werden, dass der Großteil katalanischer, okzitanischer, aragonesischer und auch andorranischer Familien wirkliche Momente von Gewalt im Rahmen der Tradition von ''El Tió'' intuitiv oder auch bewusst mied oder diesen entgegentrat.
 
== Literatur ==
*2015: ''El tió de Nadal (Pop up fantàstics)'', Autor Equip Susaeta, Illustrator Javier Inaraja und Fco. Arredondo, 6 Seiten, Susaeta Ediciones, {{ISBN|978-8467734478}} (''Katalanisch'') <!-- 1. September 2015 -->
*2016: ''El tió de Nadal (Base Tradicions, Band 4)'', Autor Care Santos, Illustrator Dani Cruz, 32 Seiten, Editorial Base, {{ISBN|978-8416587544}} (''Spanisch'') <!-- 1. Dezember 2016 -->
*2019: ''Feliz Navidad: Auf Spanisch durch die Weihnachtszeit '', Herausgeberin Michaela Schwermann, 80 Seiten, Reclam, {{ISBN|978-3150196403}} (''Deutsch, Spanisch'') <!-- 25. September 2019 -->
*2022: ''Com cuidar el tió i evitar que cagui abans d'hora'', Autor Oscar Vendrell Corrons, Illustratorin Lucía Serrano Guerrero, 40 Seiten, Baula, {{ISBN|978-8447949045}} (''Spanisch'') <!-- 30. September 2022 -->
 
== Weblinks ==
* {{Commons|Category:Ti%C3%B3_de_Nadal}}
* [https://web.archive.org/web/20231228103735/https://www.ccma.cat/324/fer-cagar-el-tio-una-tradicio-dorigen-precristia/noticia/2258654/ 3CAT (katalanisches Fernsehen): D'on ve la tradició de fer cagar el tió? (Woher stammt die Tradition des Tió?)] @ [[Wayback Machine]]
* [https://welovebarcelona.de/barcelona-weihnachten/ Beschreibung der Tradition des „Tió de Nadal“ auf welovebarcelona.de (deutsch)]
* [http://www.festes.org/articles.php?id=243 ''El Tió'' auf festes.org (katalanisch)]
* [https://blogs.jornal.cat/sophia-blasco/blog/270/el-tio-de-nadal-i-la-violencia Sophia Blasco i Castell: El Tió de Nadal i la violència In: jornal.cat (19. Dezember 2010, katalanisch)]
* [https://web.archive.org/web/20141225130314/http://www.etnocat.org/festa/nadal/tio/cants.html Liedtexte „Caga Tió“ auf etnocat.org (katalanisch)] @ [[Wayback Machine]]
 
== Quellen ==
;Einzelnachweise
<references />
 
{{SORTIERUNG:Tio de Nadal}}
[[Kategorie:Brauchtum (Weihnachten)]]
[[Kategorie:Kultur (Katalonien)]]
[[Kategorie:Kultur (Aragonien)]]
[[Kategorie:Kultur (Andorra)]]
[[Kategorie:Kultur (Okzitanien)]]

Aktuelle Version vom 29. September 2024, 09:36 Uhr

Ein Tió de Nadal aus Katalonien
Datei:Tió.JPG
Ein Tió de Nadal wird mit Obst und Gemüse gefüttert und getränkt
zahlreiche Tions

Der Tió de Nadal [tiˈo ðə nəˈðal][1] (auch einfach „tió“, Plural „tions“ oder „tronc(a) de Nadal“, aragonesisch „tronca“, „toza“ oder spanisch „tízón de Nadal / Navidat“ und okzitanisch „cachafuòc“ oder „soc de Nadal“) ist ein großes Stück Holz, das als Weihnachtsfigur dekoriert eines der wesentlichen Elemente der katalanischen und aragonesischen Mythologie und eine tief im spanischen Katalonien und Aragon sowie in Andorra und Okzitanien (Frankreich) verwurzelte Weihnachtstradition bildet. Auf Mallorca ist diese als „Nadaler“ bekannte bis ins 19. Jahrhundert reichende Tradition heute nahezu verloren gegangen. El Tió (von lateinisch gleichbedeutend titio) ist nach dem Diccionari Català-Valencià-Balear des Pfarrers und Katalanisten Antoni Alcover (1862–1932)[2] zunächst ein trockenes Stück eines Baumstammes oder eines dicken Astes, das für die Verbrennung im Kamin bestimmt ist. Es darf nicht mit dem katalanischen Wort El Tio (ohne Akzent auf dem „o“, deutsch: „der Onkel“)[2] verwechselt werden.

Die aktuelle Tradition

Trotz der vielen lokalen Variationen besteht die Tradition darin, einige Tage vor Weihnachten einen Baumstumpf oder dicken Ast zu besorgen und diesen mit einem Gesicht und einer roten katalanischen Bauernmütze („la barretina“) als Tió de Nadal herzurichten. Normalerweise wird am 8. Dezember, dem Tag der Unbefleckten Empfängnis Marias, dieser Baumstumpf mit einer Decke bedeckt und in eine Ecke des Hauses gelegt, damit El Tió sich nicht verkühlt. Er wird täglich mit Obst, Äpfeln, Mandarinen und Äpfeln gefüttert, damit er zur Weihnachtsbescherung Süßigkeiten und vor allem Geschenke auswerfen (im etwas derben zum Brauch gehörigen Kinderlied „scheißen“ oder familiär „etwas herausrücken“) kann. In manchen Häusern besteht El Tió einfach aus einem Stück Holz, einem oder mehreren Stühlen, einem Stück Kork, einer Holzschachtel oder einem geflochtenen Korb jeglicher Größe, je nach der für die herauszugebenden Geschenke angemessenen Größe.

Für diese Tradition gibt es auch den Namen Cagatió [ˌkaɣətiˈo],[3] der sich direkt auf das Fest der Bescherung bezieht, bei dem El Tió, Geschenke herausrücken oder eben derber „scheißen“ soll (katalanisch: „cagar“, deutsch: „scheißen“, familiär auch etwas „herausspucken“, etwas „rausrücken“). Hier wird das für deutschsprachige Leser etwas derb wirkende oben bereits erwähnte Kinder- und Bescherungslied ausschnittsweise in katalanischer Sprache aufgegriffen. Es existieren zahlreiche Strophen und Varianten.

Caga Tió!
Ametlles, avellanes i torró.
No caguis arengades.
Que són massa salades.
Caga torrons que són més bons.
Si no cagues tió.
Et donaré un cop de bastó.


Spucke heraus Tio!
Mandeln, Nüsse und Torrons (Weihnachtsgebäck).
Und spucke keine Heringe.
Denn die sind zu salzig.
Spucke Torrons, die sind viel besser.
Wenn du nicht spuckst Tió.
Dann geben wir dir einen Stockschlag.


Die Kinder singen zur Bescherung dieses vielstrophige Lied, tanzen um Tió, drohen ihm dabei im Rhythmus der Musik mit kleinen Stöcken oder versetzen leichte Stockschläge auf die die Geschenke verbergende und Tió ummantelnde Decke. Nach Absingen des Liedes zieht der Familienvater die Decke weg und die kleinen und großen Kinder nehmen ihre Geschenke in Empfang.

Die Geschichte des Tió de Nadal

Kinder bringen Tió de Nadal zum Herausspucken von Geschenken (um 1880, Zeichnung aus dem Magazin „La Llumanera de Nova York“)
Weibliche und männliche Tions (Plural zu Tió) - nach der originalen Fotobeschreibung zu adoptieren oder zu befreien (in jedem Fall zu kaufen)

Nicht aus dem okzitanisch-katalanisch-aragonesischem Kulturgebiet stammende Bürger anderer Nationalitäten tuen sich mit dem Verständnis des Weihnachtsbrauchtums um El Tió de Nadal schwer. Auch kritische Katalanen sehen Brüche und Unebenheiten in diesem Brauchtum. Was sollen beispielsweise kleine Kinder empfinden, die in der Vorweihnachtszeit liebevoll El Tio warm halten, ihn abends mit Futter versorgen und zu ihm regelrecht eine soziale Beziehung aufbauen, um ihn schließlich am Heiligen Abend mit Stöcken dazu zu bewegen, Geschenke auszuspucken? Die Personaltrainerin Sophia Blasco i Castell macht darauf aufmerksam, dass zum Verständnis der genannten Unebenheiten und einer eventuell passenderen aktuellen Ausgestaltung der Ursprung und die geschichtliche Entwicklung dieser Tradition betrachtet werden muss.[4]

El Tió repräsentiert eine ländliche, alte, vorchristliche Tradition, die ursprünglich eng mit der Natur, der Fruchtbarkeit und den Festen zur Wintersonnenwende verbunden war. Um die Wintersonnenwende herum wurde an der Feuerstelle uralter Bauernhäuser ein besonders großes Stück Holz entzündet. Dieses Holz spendete in der langen Winternacht die benötigte Wärme und das benötigte Licht. Das im ursprünglichen Brauchtum nachgewiesene „Schlagen“, konkret das „Schlagen von Wärme“ aus dem großen brennenden Holzscheit, diente dem Wiedererwecken der in Kälte erstarrten Natur. Es diente als Vorbote der wärmeren Jahreszeiten.[5]

Die emeritierte Anthropologin Josefina Roma i Riu (* 1944) der Universität Barcelona sieht das in Frage stehende Brauchtum insgesamt in einen Ahnenkult dieser bäuerlichen Bevölkerung eingebettet. Die Erwachsenen kommunizieren über das Medium des im Schornstein abziehenden Rauches mit ihren Vorfahren. Gleichzeitig werden am Feuer Leckereien für die Kinder zubereitet. Generell werden in dieser Zeremonie gute Wünsche sowie Schutz (gegen Blitze, Ungeziefer und Krankheiten) und Fruchtbarkeit der Familie beschworen. Die von dem Feuer zurückbleibende Asche wird anschließend auf den Feldern verstreut. Im gesamten ursprünglichen Brauchtum manifestiert sich eine tiefe Verbundenheit aller Beteiligten mit ihrer Familie, den Vor- und Nachfahren, und mit der Natur.[5]

Dieser ursprüngliche Ahnenkult wurde im aufkommenden Christentum in ein Kinderfest umgeformt. Die älteste im Haus lebende Person leitete die Zeremonie und segnete zunächst das große brennende Holzscheit mit Wein. Dieses brennende Scheit war ursprünglich in keiner Weise bemalt oder dekoriert. Vor der Bescherung mit dem Schlagen des brennenden Holzscheites gingen die Kinder mit einem Erwachsenen in einen anderen Raum, um dort ein Vaterunser zu beten. Die Bescherungstradition blieb eng an das bäuerliche, brennende Holzscheit und das Hausfeuer gebunden.[5]

Mit der aufkommenden Säkularisierung und der Modernisierung der Wohnstätten veränderte sich das Brauchtum deutlich. Zunächst tränkten Kinder die Stöcke, mit denen sie El Tió, das zuvor liebevoll behandelte Holzscheit, jetzt zur Herausgabe von Süßigkeiten und Geschenken zwangen. Genau an dieser Stelle sieht die oben bereits genannte Personaltrainerin Sophia Blasco Anpassungsbedarf der Tradition, in der Momente von Gewalt zurückgenommen werden müssen. Das Aufkommen moderner Wohnstätten entfernte die Tradition weiter von ihrem klassisch angestammten Ort, dem bäuerlichen Hausfeuer. In diesem Zuge wurde El Tió mit einem Gesicht und einer katalanischen Bauernmütze versehen oder schlichtweg vermenschlicht und schließlich auch als käufliche Ware teilweise verkitscht. Neuerdings wird das ursprüngliche Familienfest El Tió auch im Kontext von öffentlichen Großveranstaltungen abgehalten.[5]

Es gibt zunehmend mehr Menschen wie Sophia Blasco, die für eine Weiterentwicklung dieser uralten, wertvollen Traditionen in Richtung auf das Einssein mit der Natur und das Einssein mit den Mitmenschen eintreten, also für die ursprünglichen Motivationen des vor- und auch des frühchristlichen Brauches. Fairerweise muss auch gesagt werden, dass der Großteil katalanischer, okzitanischer, aragonesischer und auch andorranischer Familien wirkliche Momente von Gewalt im Rahmen der Tradition von El Tió intuitiv oder auch bewusst mied oder diesen entgegentrat.

Literatur

  • 2015: El tió de Nadal (Pop up fantàstics), Autor Equip Susaeta, Illustrator Javier Inaraja und Fco. Arredondo, 6 Seiten, Susaeta Ediciones, ISBN 978-8467734478 (Katalanisch)
  • 2016: El tió de Nadal (Base Tradicions, Band 4), Autor Care Santos, Illustrator Dani Cruz, 32 Seiten, Editorial Base, ISBN 978-8416587544 (Spanisch)
  • 2019: Feliz Navidad: Auf Spanisch durch die Weihnachtszeit , Herausgeberin Michaela Schwermann, 80 Seiten, Reclam, ISBN 978-3150196403 (Deutsch, Spanisch)
  • 2022: Com cuidar el tió i evitar que cagui abans d'hora, Autor Oscar Vendrell Corrons, Illustratorin Lucía Serrano Guerrero, 40 Seiten, Baula, ISBN 978-8447949045 (Spanisch)

Weblinks

Quellen

Einzelnachweise
  1. Siehe den entsprechenden Artikel in der katalanischsprachigen Wikipedia.
  2. 2,0 2,1 Antoni Alcover, Frances de B. Moll: Diccionari Català-Valencià-Balear. Band X. Son–Zu. Palma de Mallorca 1993. Seite 295. Dort die Einträge „tió“ und „tio“.
  3. Siehe entsprechende Einträge im katalanisch- und deutschsprachigen Wiktionary.
  4. Siehe hierzu: Sophia Blasco i Castell: El Tió de Nadal i la violència. In: jornal.cat (19. Dezember 2010).
  5. 5,0 5,1 5,2 5,3 Abschnitt nach: 3CAT: D’on ve la tradició de fer cagar el tió? (23. Dezember 2023).